Zu Begin waren wir gar nicht mit Sasha unterwegs, und auch nicht in einer Westwand, sondern im Wald, irgendwo unterhalb einer Nordwand. Es war Abend und wir waren direkt nach der Arbeit durch die Hitze in die Pfalz gefahren. Wir hatten geparkt und waren eilig durch den Wald gehetzt, bis wir uns verirrt hatten.

Nun standen wir mit Badeschlappen im hüfthohen Farn und spürten wie uns Zecken die nackten Beine hochkletterten. „Oh man, die ist fast so groß wie unsere Katze.“ Mirko hielt mir seinen Arm hin. „Wenn die anfängt zu Saugen, bist du null Komma nix leer wie ein alter Luftballon.“ Er hatte sicher Recht. Wir mussten hier weg und zwar genau jetzt. Also querten wir den staubigen, steilen Hang in die andere Richtung, rutschten immer wieder aus unseren Latschen, stolperten, schlugen mit all unserem Zeug hin, lachten erst noch und später fluchten wir. Irgendwann waren wir dann endlich da. Mirko konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Dort wo wir die kühle Luft einer Nordwand erwartet hatten, war es einfach nur schwül. Und dort wo wir festen Fels mit feinen Strukturen erwartet hatten stand ein moosiger, schleimiger Brocken. Zwei Routen später waren wir zurück auf dem Parkplatz. Das sollte es gewesen sein? Inzwischen war es halb zehn. Uns blieb eigentlich nur noch Eis essen zu gehen und anschließend Musik hörend durch die Nacht nach Hause zu fahren.

In dem Moment, in dem wir uns damit abzufinden begannen, hatten wir beide eine Erscheinung: die Westwand des Trifels leuchtete in warmem Orange vor einem abendblauen Himmel, über kühl grünen Wäldern. Wir hatten den Eindruck Fanfaren zu hören und wussten, da müssen wir hin. Von da an ging alles sehr schnell. Wir hatten unsere Enttäuschung überwunden und folgten der lockenden Erscheinung. Mirko zeigte uns welches Temperament in seinem Nissan Van lauerte, als wir mit Vollgas die gewundene Straße zum Parkplatz unter dem Trifels hochfuhren. Im Laufschritt eilten wir die Serpentinen zum Wandfuß hoch. Wechselten von der schon dunklen Ost- auf die Westseite und bekamen schier Tränen in die Augen, beim Anblick der leuchtend orangenen Wand vor dem abendlichen Himmel. Wir standen im warmen Licht, schweißnass, ein kühlender Wind wehte uns um die Schultern. Mirkos Vorschlag “gehen wir doch nackt“, und damit meint er ohne T-Shirt, war der einzig richtige. Als wir Gurt und Schuhe angezogen hatten und im Begriff waren los zu klettern machte uns beide etwas stutzig.

Was war das? Es war viel zu laut für einen Sommerabend in der Pfalz. Es war kein Kampfflugzeug das im Tiefflug über unsere Idylle hinwegdonnerte, es war Musik, was wir hörten. Verdammt laute Musik. Aus einer Lichtung im dichten Wald schallte es zu uns herauf, laut, hart und schnell. Mirko lächelte mir kopfnickend zu und ich stieg ein. Ich kletterte durch orangeroten Fels, stieg an handschmeichelnden Griffen und scharfen Tritten, die Bewegungen waren großzügig. Die Wärme des Felsens gab mir ein Gefühl von Geborgenheit und der kühlende Wind ein Gefühl von Freiheit. Es war berauschend jetzt und hier zu sein. Alleine die krachende Musik bildete einen notwendigen Kontrast. Ohne ihn hätte ich nicht geglaubt dass dies die Wirklichkeit ist. Als ich Mirko am ersten Stand nachsicherte kletterte er mir viel zu langsam, ich konnte es kaum erwarten in die zweite Seillänge einzusteigen. Die Musik hatte inzwischen gewechselt, sie war jetzt bei Sasha angekommen. Endlich durfte ich weiter. Die zweite, steilere Seillänge verstärkte das Gefühl von Freiheit noch. Die Züge waren weiter und die Ausgesetztheit nahm zu. Warme Freude durchströmte mich. Als Sasha sang: This is my time this is my life and I live the way that I want it, standen wir im letzten, im orangenen Licht des Tages auf dem Gipfel des Trifels. Um uns die Weite über dem Pfälzer Wald, unter einem nachtblauen Himmel mit blinkenden Sternen. Ich hatte nie gedacht, dass Sasha je eine Rolle in meinem Klettern spielen würde, ich hatte es mir auch nicht gewünscht.

An diesem Abend kamen wir aus dem Staub unseres weiten Weges ins letzte, reine Licht des Tages, aus der Enge des Waldes in den offenen Raum unter dem Firmament. Es war schön genau das zu tun was wir taten. Die Stimme des DJ löste Sasha ab, er versprach dem Freibier, der als erster seine Unterhose auf die Bühne warf. Mirko und ich schauten uns an und wir wussten, es war Zeit abzuseilen.