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Aktueller Kalender aller geplanten Wanderungen, Vorträge und Reisen.

Sonntag, Ankunft in Mandarfen im Pitztal. Hier ist es kaum kühler als im backofenheißen Worms – Juli-Mittagshitze. Wir steigen zum Taschachhaus auf. Wir, das sind Galina, Marius, Jens, Tourenleiter Tom und ich. Kein bisschen Schatten. Der rauschende Bach sorgt für Erfrischung – allerdings nur akustisch. Schweiß tropft. Auf knapp 2100 m Höhe endet der steinige Fahrweg bei der Materialseilbahn. Können wir die Rucksäcke nicht nach oben transportieren lassen? Nein, nur was für Weicheier. Also weiter, mit Rucksack. Die Luft ist flirrend heiß. Irgendwann, endlich. Wir überschreiten eine Scharte, noch ein paar Höhenmeter: Wir sind oben. Taschachhaus, 2434 m hoch, DAV-Hütte der Sektion München, Ausbildungsstützpunkt des DAV. Rucksack abstellen. Hinsetzen. Schuhe, Strümpfe ausziehen. Fußzehen senkrecht in die Höhenluft stellen. Die Seilbahn kommt, voll mit Rucksäcken und Taschen, die von Leichtrucksackwanderern und Ohnerucksackwanderern aus der Gondel geholt werden. Phh, wir haben unsere Rucksäcke getragen – und jedenfalls Bier, Kässpätzle, Kaffee verdient.

Nach der Stärkung gibt es die erste Lektion im Grundkurs Eis: Die „lose Rolle“, mit der wir die Spaltenbergung üben. Das erste Opfer wird von Tom unweit der Helikopterlandestelle in den Abgrund hinabgestoßen. Am Seil, versteht sich. Und es ist nur Marius‘ Rucksack. Während der am Seil hängt, gibt Tom Anweisungen: Rucksack an Position 1 ist das Spaltenopfer. Margret geht an Position 2. Achterknoten einbinden, lange Prusikschlinge ans Seil. Dann meinen Pickel eingraben oder eine Eisschraube als Fixpunkt setzen, Bandschlinge um den Pickel und mit Ankerstich oder Karabiner ans Seil knoten. „Lastübergabe“ an Jens in Position 3 rufen. Der hat seine Prusikschlinge schon angeknotet, geht auf Zug. Ich kann mich ausbinden und auf meinen Fixpunkt setzen, um zusätzliches Gewicht zu geben. Jens zieht sich mit der Schlinge in Richtung Rucksack-Opfer, wirft ihm einen Karabiner am Seil zu: Da, fang! (Rucksack fängt aber nicht.) Nun ist Armkraft gefragt. Stück um Stück wird das Opfer hochgezogen. Als der gerettete Rucksack erschöpft im Gras liegt, wechseln wir die Positionen. Tom spornt uns an: Dasjenige Team, das die Bergung in weniger als 3 Minuten schafft, hat sich sein Abendessen verdient. (Satt werden trotzdem alle.)

Montag: Am nächsten Tag wird die „lose Rolle“ wiederholt, nochmal alle Positionen durchgewechselt. So lange, bis Tom zufrieden mit uns ist. Jetzt geht’s an den Gletscher – endlich! Nach einer halben Stunde Fußmarsch sind wir am Taschachfern, legen Steigeisen und Handschuhe an und nehmen den Pickel vom Rucksack. Wir üben Frontaltechnik, den Pickeleinsatz und das Queren des Gletschers. Orientierung auf dem aperen Gletscher. (Muss man erklären, was „aper“ ist, frage ich drei Tage später, schon bei der Rückfahrt irgendwo auf der A8, meine Mitfahrer. Wer’s nicht weiß, soll einfach googeln, ist die einhellige Meinung. Also bitte: Wer nicht weiß, was aper ist, der darf es googeln. Und wer nicht googeln will, der soll sich einfach zum nächsten Grundkurs Eis anmelden.) Unterdessen ziehen uns die Gletscherspalten in ihren Bann (zum Glück nicht nach unten). Sie haben vielgestaltige Strukturen und Farben, sind unterschiedlich groß, breit, tief. So schön, dass Galina sie alle fotografieren möchte. Das geht allerdings nur, wenn man nicht versehentlich auf eine schneebedeckte Gletscherspalte tritt und mit einem Bein in die Tiefe sackt. So wie Jens gerade. Schnell weiter, sonst haben wir den Ernstfall für unsere Spaltenbergung. Den üben wir trotzdem noch. Einer darf sich in die Gletscherspalte hinunterlassen. Angenehm kühl hier unten. Solange ich weiß, dass man mich hier wieder rausholt, macht das Spaß. Aber im Ernstfall?

Dienstag: Der Tag wird gut. Sonnencreme ins Gesicht. Tom mit Lichtschutzfaktor 50 sieht aus wie eine Gletschermumie. Petersenspitze – wir kommen! Ich bin Seilerste. Einbinden ins 50m-Seil. Vorausschauend laufen. Die Spalten umgehen, an der schmalsten Stelle überqueren – oder springen, wo risikolos. Tom gibt Tipps: Orientiere dich an einem Punkt in der Ferne, um die Spur zu halten. Nutze die Fußstapfen, die schon im Schnee sind. (Gar nicht so einfach, die Orientierung hier auf dem Gletscher zu behalten. Die Seilschaft muss ja hinter mir her –und auch meine Zickzacklinien mitlaufen.) Ich muss die Tritte spuren, der Schnee ist sulzig und keuchend merke ich, dass wir auf über 3000 m sind. Weit vor uns der schneebedeckte Gipfel. Nicht anhalten, gleichmäßig weiter laufen, gleichmäßig atmen, einen Fuß vor den anderen. Irgendwann über uns nur noch blitzblauer Himmel. Unter uns glitzernde Schneekristalle, ganz unten ein intensiv türkisblauer Schmelzwassersee. Um uns herum das Panorama der Dreitausender-Gipfel. Wir stehen oben. Nicht mehr schnaufend. Atemberaubend.

Mittwoch: Heute stehen Fall- und Rutschübungen auf dem Plan. Auf Geröll und über Bachläufe geht es im weglosen Gelände zum Sexegertenferner. Die 9-Stunden-Tour von gestern steckt noch ein wenig in den Knochen. Dann sind wir am Schneehang mit 100m-Natur-Rutschbahn: einfach auf den Rücken legen und ab geht die Post. Wer richtig Fahrt aufgenommen hat, dreht sich auf den Bauch und versucht, zum Bremsen in den Stütz und dann zum Stehen zu kommen. Anschließend kopfvor das Ganze. Nachdem wir alles geübt – und mit Gaudi gefilmt – haben, binden wir uns wieder ins Seil ein. Tom schubst mich, ich torkele, Jens hält dagegen. Als Jens und Marius gleichzeitig stürzen, rutschen alle am Hang hinab. So langsam bekommen wir ein Gefühl dafür, was es heißt, am Seil zu gehen. Die Seilschaft kann schützen und retten. Alle können aber auch mitgerissen werden, wenn nur einer ins Rutschen kommt.

Wir machen uns auf den Rückweg zur Hütte, heute Mittag ist Regen angesagt. Wer einmal einen Wetterumschwung in der Gegend erlebt, so wie wir, dem wird vielleicht das von Jens und Marius erbaute Steinmännchen zur rettenden Wegmarkierung. Um ihr Kunstwerk zu vollenden, sind die beiden pitschnass bis auf die Knochen geworden.

Donnerstag. Mit gepackten Rucksäcken stehen wir vor der Hütte. Nochmal die Lungen vollpumpen, Alpenpanorama abspeichern. Abstieg. (Der war übrigens weder anstrengend noch heiß. Eher erfrischend bis gut durchgekühlt. Ohnerucksackwanderer sind wir jedenfalls nicht. Nur praktisch veranlagt. Aber das wäre eine andere Geschichte.)

Natürlich planen wir schon den nächsten Gipfel. Der soll ein Viertausender sein, denn wir sind alle hochtourenangefixt. Und Galina, Marius und ich beneiden Tom und Jens, die in ein paar Tagen schon auf dem Strahlhorngipfel stehen werden. Da schmore ich wieder im backofenheißen Worms beim Sporterlebnistag am DAV-Kletterturm.