Vom 6.09. – 12.09.09

Auf dem Programm standen der Mindelheimer Klettersteig, der neu errichtete Zweiländer-Sportklettersteig an der Kanzelwand und der Hindelanger Klettersteig. Was würden Sie tun, wenn Sie wüssten, dass Sie nicht scheitern könnten? Einen Berg besteigen, ein Meer durchsegeln, eine Liebe leben …? An was lassen wir uns durch unsere eigenen Ängste hindern? Als meine Freundin Sigrid Victor und ich uns zu der Klettersteigtour in den Allgäuer Alpen unter der Leitung von Heinz Wenner anmeldeten, war uns beiden etwas mulmig zumute. Hatten wir doch beide keine Erfahrung im Klettersteig-Begehen, geschweige denn in der Kletterei an der Wand in der Halle oder sonst wo.

Als wir dann die Gruppe kennen lernten, wurde unsere Angst vor dem Scheitern eher stärker. Waren die anderen doch gestandene, Berg-erfahrene Männer! Heinz schlug daher ein „Vorklettern“ im Weinheimer Steinbruch des dortigen Alpenvereins vor. Die überhängende Passage dieses Klettersteigs zeigte uns dann auch ganz schnell die eigenen Grenzen auf! Also: Aus Angst zu scheitern die Pläne aufgeben oder auf Astrid Lindgren hören, die schreibt: „Es gibt kein Verbot für alte Weiber auf Bäume zu klettern?“ Wir entschieden uns für Letzteres, und das war auch gut so. Die wichtigste Erfahrungen für mich: Wenn ich die Angst zu scheitern aushalte und sie als Ratgeberin nutze, kann ich wunderbares Neues erleben und erfahren: z.B. den Aufstieg durch das wunderschöne Wildental zur Mindelheimerhütte, die allerdings bis unters Dach überfüllt war.

Am nächsten Tag ging’s gleich los auf den Mindelheimer Klettersteig – bei herrlichstem Sommerwetter und toller Sicht. Für mich erstaunlich: Gerade die nötige Konzentration auf meinen nächsten Schritt und die körperliche Anstrengung, die das Begehen eines Klettersteigs erfordert, ließ alles Belastende des Alltags zurücktreten und führte mich sehr schnell zu einer inneren Leichtigkeit. Allerdings wurde sehr deutlich, dass der Kanzelwandklettersteig für die Mehrzahl der Gruppe eine Überforderung gewesen wäre.

Die nächste Tour entschädigte uns. Am Mittwoch machten wir uns über den Krummbacher Höhenweg und den Fellhorn-Grat zum Söllerweg auf. Die teilweise absolute Stille der Landschaft rief wie von selbst Gebete und Lieder hervor: Überraschende, spirituelle Momente, die nachwirken. Insgesamt war dieser Tag eine einzige Genusstour mit herrlichem Weitblick. Ebenso ein Genuss: die Unterbringung nach zwei Nächten in völlig überfüllten Hütten, das Gasthaus am Söllereck.

Nach einem Abstieg am nächsten Tag nach Oberstdorf, erreichten wir am Donnerstag das Edmund-Probst-Haus am Nebelhorn. War der Mindelheimer Klettersteig sehr gut durch Seile gesichert, so verlangte der Hindelanger Klettersteig durch viele ungesicherte Gratpassagen ein Mehr an Schwindelfreiheit und Trittsicherheit. Es war für mich ein Geschenk zu erleben, wie sehr die Gruppe sich gegenseitig Halt gab. Durch die Unterstützung und Erfahrung Walter Lauseckers, Günter Merz’ und Herrmann Kohlmanns (z.B.: „Nimm die Näschen und Trittchen, Sabine!“) wuchs das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Die Bereitschaft sich selbst zurücknehmen und für die Gruppe unter dem eigenen Niveau zu bleiben, verhalf dazu, dass die Tour zu einem einmaligen Erlebnis wurde! So mauserten sich Heinz und Volker Lerch als eingespieltes Team. Heinz, immer vorneweg wie ein Steinbock und stets mit einer Berggeschichte auf den Lippen, und Volker als ruhender Pol und Rückhalt der Gruppe, zeigten wie sehr Haltung und Halt sich gegenseitig bedingen. Ohne die absolut bestärkende und wohlwollende Haltung der beiden, sowohl der Gruppe als auch den einzelnen gegenüber, könnte ich heute vermutlich nicht sagen: „Auf einem Grad gehen – ohne Angst – super!“ Im Lauf des Nachmittags änderte sich die Wetterlage. Wir entschieden uns, über einen Notausstieg den Kletterstieg zu verlassen. Hier war die Erfahrung von Heinz entscheidend. Ihm gelang es während der Tour immer wieder, auszubalancieren zwischen seiner eigenen Begeisterung für das Klettern, seiner Verantwortung gegenüber der Gruppe und dem Respekt vor den Bergen und seiner damit verbundenen Vorsicht („Auch die Guten stürzen ab!“ – O-Ton Heinz W.).

Nach einem wildromantischen Abstieg nach Oberstdorf und Übernachtung in der dortigen Jugendherberge Kornau (eine Mitgliedschaft des DAV-Worms im DJH wäre hier wünschenswert!), entschieden wir uns, den nächsten Morgen zu nutzen und durch die Breitachklamm zu steigen, ein einzigartiges Naturdenkmal!

Entspannt ging’s anschließend mit dem Zug nach Worms. Die Begeisterung über die Tour war so groß, dass selbst die Bahnfahrt für intensive Knotenkunde genutzt wurde. Ich nehme von der Tour, vor der ich Angst hatte, ich könnte scheitern, viele Momente des unbeschwerten Glücks als Kraftquelle mit in den Alltag. Ich erinnere mich an die Worte von Hilde Domin: „Denn wir essen Brot, aber wir leben vom Glanz.“